Damit all die Historie nicht langweilig wird, zur Abwechslung wieder einmal etwas Literarisches: J.W. von Brawe (1738-1758): „Der Freigeist“ – ein Drama, das hier bei Projekt Gutenberg zu finden ist – nur falls jemand so verrückt sein sollte, es tatsächlich lesen zu wollen ;).
Die Handlung des Stückes ist an sich so spannend, dass man – mindestens – eine moderne Seifenoper daraus machen könnte. Held Clerdon war ehemals tugendhaft, christlich, von allen bewundert und geliebt. Als er dem (weniger tugendhaften, weniger christlichen) Henley nicht nur beruflich den Rang abläuft, sondern diesem auch noch die angebetete Frau, Amalia, vor der Nase wegschnappt, sinnt Henley auf Rache. Er beschließt – und diese psychologische Perfidie ist durchaus faszinierend – den guten Clerdon auf Abwege zu führen. Er will ihn gerade all jener Vorzüge berauben, die er aufgrund seiner christlichen Tugend hatte – um dann um so hämischer triumphieren zu können, wenn Clerdon erst, durch Lasterhaftigkeit, ins tiefste Elend gesunken ist. Dazu verführt er Clerdon zunächst zur „Freigeisterei“ (d.h. – im damaligen Verständnis – zur Gotteslästerung, nämlich zur Infragestellung von Begriffen wie „Sünde“, „göttlicher Strafe“ oder „Tugendlohn“). Und als direkte Folge dieser Freigeisterei ergibt sich, dass Clerdon auch anfällig für alle anderen Laster wird. Als das Drama einsetzt, hat Clerdon das Vermögen seines Vaters verspielt, diesen mit dem Schuldenberg sitzen lassen und ist mit dem Verführer Henley zusammen vor den Gläubigern nach Schottland geflüchtet. Doch ehe Henley hier sein Werk vollenden kann, tauchen Clerdons, von diesem im Zuge des Lotterlebens verlassene, Verlobte Amalia und deren Bruder Granville auf. Beide haben sich fest vorgenommen, Clerdon auf den christlichen, tugendhaften Weg zurückzubringen. Das natürlich kann Henley nicht zulassen. Um die „Rückkehr“ Clerdons zur Tugend zu verhindern, macht er diesem weis, der edle Retter Granville sei in Wirklichkeit mit seiner Schwester angereist, um diese – als Rache am untreuen Clerdon – an Henley (den alten Konkurrenten um Amalias Hand) zu verheiraten. Und Clerdon fällt, durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, auf diesen Trick herein. Er fordert, zornentbrannt, den verblüfften Granville (der schließlich wirklich nur die besten Absichten hatte!) zum Zweikampf. Und da Granville (natürlich, er ist ja edel) im Zweikampf seine Chancen, Clerdon zu töten, nicht nützt, sondern nur ausweicht, wird er schließlich selbst von diesem umgebracht. Was Henley, am Schluß, die Möglichkeit gibt, nun wirklich über Clerdon zu triumphieren. Als Clerdon erfährt (zuerst vom hinreißend lange und nobel sterbenden Granville und danach vom frohlockenden Henley), dass er verführt und verraten wurde, dadurch in Gotteslästerung und Laster fiel (sein Vater starb auch im Schuldturm) und obendrein einen unschuldigen Freund ermordet hat, ersticht er zuerst Henley und begeht danach Selbstmord. Und Bösewicht Henley freut sich, sterbend, noch immer seiner Rache – der letzte Satz des Dramas.
Für den heutigen Leser ist mit Sicherheit die sehr christliche Moral auffallend, die in langen Monlogen und vielen Nebensätzen immer und immer wieder durchscheint: Der Christ (immerhin: jeder Christ – also betontermaßen auch derjenige niederer Abkunft, wie Clerdons Diener Truworth) hat jederzeit die Gelegenheit, als leuchtendes Beispiel der Tugend zu handeln (wie Granville), während die „Freigeisterei“, der Abfall von dem Glauben an jenseitige Strafe für Sünden bzw. den jenseitigen Lohn für Tugend, zwangsläufig ins Verderben führt.
Abgesehen davon ist es aber eigentlich eine hochdramatische Handlung, oder? Vielleicht würde sie sich gut – in modernisierter Fassung und unter etwas anderen Gesichtspunkten – für eine Umarbeitung eignen…so gut wie manche Fernseh-Melodramen wäre das allemal! 😉
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